„Es sind laut Autoanzeige 4,2 Grad Außentemperatur als ich mein Auto endlich zwischen zahlreichen holländischen Wohnanhängern abstelle. 276KM liegen vor mir. Zu dem Zeitpunkt der Saison, verbunden mit über 4000HM, ist das reichlich. Dennoch ist es ein lang gehegter Traum Lüttich-Bastogne-Lüttich einmal zu fahren. Nun also bei winterlichen Temperaturen. Meine ganze Hoffnung liegt in meinem im Hotel angelegten vielschichtigem Zwiebelprinzip. Ohne lange Handschuhe, Helmunterziehkappe und mehreren Schichten Windschutz im Oberkörperbereich sieht man hier nur wenige. Die wenigen die mit kurzen Sachen dampfend am Start stehen haben zudem Eddy Merckx Trikots an und Sturzringe auf dem Kopf und haben wahrscheinlich schon den Krieg überlebt.
Wie auch immer, es geht los – die ersten Kilometer laufen sofort zügig. Mein Konzept, eine gute Gruppe für die Ebene zu finden geht auf. Ich finde mich sofort in einem Pulk von Italienern, Schweizern, Belgiern und vor allem sehr sehr vielen Holländern. 35Km/h Schnitt lassen sich da mit kurzer Führung im Wind schon verkraften. Während meine Beine langsam auftauen, erstarren meine Zehen langsam aber sicher.
Die Zeit bis Bastogne (km108) vergeht relativ schnell. Komme mit meinem Nahrungskonzept (alle 30min essen) gut voran. Ich zwänge mir zwar den ein oder anderen Energiegel rein, aber auch in der Kälte braucht der Körper etwas Nahrung. Toll auch die Verpflegungsstellen, wo es eiskalte Elektrolytgetränke und sehr sehr guten Honigkuchen gibt.
Dann geht es mit der Cote Saint Roche los. Ich habe mir vorgenommen, sämtliche Rampen im guten, aber nie im roten Bereich zu fahren. Das klappt auch als die Passagen kommen, an denen die individualisierte Zeit genommen wird. Wenngleich dort einige voran preschen, fahre ich (sofern man bei 39-23 maximal von „fahren“ sprechen kann) meinen Stiefel hoch. Die mittlerweile dezimierte italienisch-schweizerische Gruppe begleitet mich nun schon den ganzen Tag. In der Ebene wird doch relativ viel Druck gemacht – an den Cotes fährt jeder für sich. Oben wird zur Not kurz gewartet.
An der Redoute – die schon von zahlreichen Wohnwagen bevölkert wird, wage ich mal etwas. Für alle Couchpotatoes: die Steigung sieht im Fernsehen deutlich flacher aus! Auch wenn man gut und gleichmäßig hochfahren kann, zieht sie sich (vor allem bei Gegenwind) recht lange. Mit 320W/Schnitt bin ich am Ende unter den besten 15%. Toll!
Der Rest rauscht nunmehr im Adrenalinrausch an einem vorbei. Es geht über die mittlerweile gewohnt schlechten belgischen Straßen, vorbei an bereits jubelnden Belgiern und Holländern hinein nach Lüttich. Dort wo man vor rund 9h gestartet ist, wartet die ersehnte Medaille und die echt belgischen Pommes.
Kaum zu glauben – es ist geschafft. Ein Traum! Schneller und besser als ich es mir je hätte erträumen können. Müde aber nicht total KO geht es erst Richtung Dusche und dann in die Stadt. Die Feiernacht (ohne Andy Schleck ;)) wurde noch lang – zu Recht!“
Teamfahrer Christian Radde (20.04.13).